Montag, 12. November 2012

Die Geschichte und Archäologie Corveys

Rund 3,5 Kilo, 766 Seiten, 471 Abbildungen, fast 200 Rubriken für Kapitel, Anhänge und Beilagen: Der neue Band "Die Klosterkirche Corvey. Geschichte und Archäologie", publiziert vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), "ist gewichtig", so LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch am 8. November 2012 bei der Präsentation in Corvey. Gewichtig, weil er "ein wichtiger Baustein der Antragstellung für das UNESCO-Weltkulturerbe ist", für die am 15. November die Entscheidung der Vorprüfung erwartet wird. Gewichtig, weil zwischen den LWL-Buchdeckeln "auch ganze Forscherleben, mehr als 40 Jahre Forschungsgeschichte und ein wissenschaftlicher Schwerpunkt der LWL-Archäologie für Westfalen stecken", so Kirsch.

Mit diesem Band liegen erstmals alle archäologischen Erkenntnisse über die Wurzeln des berühmten Benediktinerklosters, das sich jetzt um den Weltkulturerbestatus bewirbt, in einem Guss vor. An die 100 Aktenordner wurden mit dokumentiertem Wissen gefüllt, tausende Fotos und Zeichnungen aus fast zwei Generationen Forschung archiviert.

Die LWL-Archäologen Dr. Uwe Lobbedey und Dr. Hilde Claussen haben über ihr Berufsleben hinaus Fachwissen in die Klosterkirche investiert, in der die Wurzeln Corveys verborgen liegen. Dr. Sveva Gai hat die Fülle der Ergebnisse nach dem Ausscheiden der beiden Archäologen zusammengetragen und dokumentiert damit die wechselvolle Entwicklungsgeschichte des 844 eingeweihten und heute barock überbauten Bauwerks.

Ergänzt wird die Dokumentation der Ausgrabungsergebnisse in einem geschichtlichen Abriss von Karl Heinrich Krüger und einer Übersicht über das Fundmaterial von Bernd Thier.

Der LWL-Band erscheint in der LWL-Reihe "Denkmalpflege und Forschung in Westfalen" und ergänzt als Band 1 die bereits 2007 veröffentlichte Publikation "Die Klosterkirche Corvey. Wandmalerei und Stuck aus karolingischer Zeit". Geplant ist ein weiteres wissenschaftliches Werk über die Baustruktur der Kirche und des berühmten Westwerks.

"Der jetzt erschienene Band dokumentiert auf nachhaltige Weise die Bedeutung Corveys nicht nur für die westfälische Archäologie, sondern auch die historische und kulturelle Bedeutung des Ortes für Westfalen und darüber hinaus", betonte Dr. Thomas Otten, Referatsleiter Denkmalschutz und Denkmalpflege im NRW-Bauministerium bei der Buchpräsentation. Ludger Eilebrecht, Pfarrdechant des Pfarrverbundes Höxter, hob die Bedeutung der Ausgrabungen für ein besseres Verständnis der Ursprünge des einstigen Klosters hervor, das auch ein geistliches Zentrum über die Region hinaus war. Auch für Landrat Friedhelm Spieker untermauert der neue LWL-Band die Bedeutung Corveys mit Blick auf den Weltkulturerbe-Antrag: "Die Archäologie führt nachhaltig die Entstehungsgeschichte des Klosters vor Augen und zeigt, wie wichtig es ist, dieses kulturelle Erbe zu vermitteln und zu erhalten."

Für Prof. Dr. Michael Rind, Chefarchäologie des LWL, ist mit diesem Band eine "weitere Etappe des langwierigen Erarbeitungsprozesses der Untersuchungsergebnisse an der Klosterkirche" erfolgreich abgeschlossen. Das Buch sei auch für die LWL-Archäologie eine Herzensangelegenheit, bilde Corvey doch seit Beginn der archäologischen Denkmalpflege in Westfalen einen wesentlichen Schwerpunkt der Arbeit. Der jetzt erschienene Band sei deshalb auch "ein Spiegel der Entwicklung der westfälischen Archäologie und Bodendenkmalpflege".

Acht Bauphasen

Der Band dokumentiert zunächst, was aus den Quellen bekannt ist: Das Benediktinerkloster Corvey entwickelte sich im 9. Jahrhundert zu einem bedeutenden Zentrum der abendländischen Kultur. Davon zeugt noch heute der so genannte Westbau als einziger vollständig erhaltener karolingischer Bau dieser Art überhaupt. Acht Bauphasen konnten die Fachleute für die Klosterkirche und ihre Entwicklung von der Gründung bis zum letzten Umbau Ende der Barockzeit nachzeichnen. Sie sind gleichsam das Gerüst für ein bedeutendes Beispiel europäischer Kulturgeschichte.

Die LWL-Archäologen kamen im Verlauf der Jahrzehnte den Wurzeln Corveys auf die Spur. Bis dahin gab es nur schriftliche Überlieferungen und Forschungen an der sichtbaren, aufgehenden Bausubstanz. Die Ergebnisse lassen nachvollziehen, wie das Kloster von zwei Mönchen an seinem Standort neu gegründet wurde und zwischen 822 und 844 eine dreischiffige Basilika mit sehr schmalen Seitenschiffen entstand. Sie enthielt bereits das Grab des heiligen Vitus, das Corvey zu einem wichtigen Pilgerort und Anziehungsort für die Menschen im Mittelalter machte.

Neue Erkenntnisse über architektonische Besonderheiten

Der Chor wurde erneuert, bevor in den 870er Jahren das berühmte Westwerk vor der Kirchenfassade errichtet wurde. 885 geweiht, versammelten sich in dem fünfschiffigen und mehrgeschossigen Bau Kaiser und Könige. Die Ausgrabungen korrigierten und ergänzten die bis dahin gültigen Theorien über den Westbau und wiesen nicht nur eine, sondern drei karolingische Phasen nach. Sie zeigten, dass auch im Anschluss daran mehr bauliche Eingriff in die Kirche und die Klosteranlage vorgenommen wurden, als bis dahin vermutet wurde. Ganze neue Ergebnisse konnten so für die Phasen der Romanik und Renaissance bis zum Anfang des Barock festgehalten werden.

Die Forschungen haben außerdem dazu beigetragen, architektonische Besonderheiten wie Gräber, Kapellen und memoriae im Kircheninneren deutlicher fassen und zeitlich zuordnen zu können. Ein wichtiges Ergebnis ist die Existenz eines Atriums nach römischem Vorbild. Die Sondierungen außerhalb des Kirchenraums halfen dabei, ein besseres Bild von der Gesamtgestalt der Klosteranlage mit Spuren eines karolingischen Kreuzgangs nördlich der Kirche zu bekommen.

Auch die von Bernd Thier dokumentierten Funde geben Einblicke in das Klosterleben. Darunter finden sich Objekte aus dem liturgischen Bereich wie Fragmente von Reliquienbehältern, die viel über den Lebensalltag der Klosterbewohner und der Besucher aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts berichten.

Erstmalig präsentiert werden in dem neuen Band außerdem die von Karl Heinrich Krüger vollständig ausgearbeiteten Schriftquellen, darunter viele bisher nicht publizierte Hinweise wie die Skizze barocker Gräber. Eine anthropologische Auswertung der Skelettfunde rundet die vorgelegten Forschungsergebnisse ab. Was mit komplizierten naturwissenschaftlichen Methoden in Zahlenkolonnen und Diagrammen erscheint, vermittelt Aussagen über das Geschlecht, das Sterbealter, die Körperhöhe, Verwandtschaft und Krankheiten der Verstorbenen.

Sveva Gai/Karl Heinrich Krüger/Bernd Thier:
Die Klosterkirche Corvey. Geschichte und Archäologie
Denkmalpflege und Forschung Westfalen 43.1.1, Darmstadt 2012
Verlag Philipp von Zabern

Band 1: 766 Seiten, 471 Abbildungen
Band 2: Schuber mit 18 Beilagen
ISBN 978-3-8053-4546-0
Preis: 98 Euro




Quelle: www.lwl.org