Der Staatsanwaltschaft Verden (IuK-Zentralstelle) und der
Polizeidirektion (PD) Hannover ist ein beachtlicher Erfolg im Kampf
gegen die grenzüberschreitende Internet-Kriminalität gelungen. Ein mit
Europäischem Haftbefehl gesuchtes führendes Mitglied der sog.
Underground Economy wurde kürzlich von tschechischen Polizeibeamten in
seiner Wohnung in Brünn festgenommen und an die deutsche Justiz
ausgeliefert. Er gilt als Hauptbeschuldigter eines wegen gewerbsmäßigen
Betruges, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, Waffen und Anabolika
über verschiedene Internetforen geführten Verfahrens. Im Zuge der
Ermittlungen wurden in Deutschland, Tschechien und der Slowakei außerdem
50 weitere - überwiegend deutsche - Tatbeteiligte festgestellt. Gegen
sie laufen gesonderte Verfahren. Insgesamt sieben Haftbefehle haben
Polizei und Staatsanwaltschaft vollstreckt.
Im Fokus der seit zirka einem Jahr anhängigen Untersuchung der
Zentralstelle zur Bekämpfung der IuK-Kriminalität der Staatsanwaltschaft
Verden und der Kriminalfachinspektion 3 des Zentralen Kriminaldienstes
der PD Hannover steht der festgenommene 23-jährige deutsche
Beschuldigte. Er ist dringend verdächtig, in einem variierenden
Mittätergeflecht über das Internet gewerbsmäßigen Betrug sowie Handel
mit Betäubungsmitteln und anabolen Steroiden begangen zu haben. Darüber
hinaus besteht der Verdacht des Waffenhandels.
Der anonyme Handel mit Daten („Carding") ist mittlerweile ein
lukratives, gut organisiertes Geschäft. „In der zwischenzeitlich großen
und ausgereiften Untergrundwirtschaft des „Dark Market" findet man heute
nicht nur Daten und betrügerisch erlangte hochwertige
Elektronikartikel, sondern fast alles, was das Herz von Kriminellen
höher schlagen lässt: Waffen, gefälschte Dokumente, Betäubungsmittel
oder Anabolika", schildert Oberstaatsanwalt Frank Lange, Leiter der
IuK-Zentralstelle in Verden.
Der Hauptbeschuldigte war seit vielen Jahren in der
„Carding"-Szene aktiv. Er hatte sich Anfang 2012 in die Tschechische
Republik abgesetzt, um von dort aus - innerhalb seines Netzwerkes -
weiter zu agieren. In Foren ist er szenetypisch nur unter einem festen
Nickname bekannt. Darüber hinaus bediente er sich auch diverser
Aliasnamen.
Für den Handel mit Marihuana, Haschisch, Amphetaminen und Ecstasy
nutzte der Festgenommene unterschiedliche, über das gesamte
Bundesgebiet verstreute Versender, von denen drei festgenommen wurden.
Die Bestellungen der Abnehmer erfolgten entweder direkt per PM (Personal
Message) oder über ein gesondertes Chatprogramm, wie z.B. ICQ. Für die
Bezahlung wurden verschiedene Systeme angeboten. Neben virtuellen
Zahlungsmöglichkeiten wie UKash, Paysafe oder Liberty Reserve wurden
auch Barüberweisungen per Western Union oder der Express-Brief auf einen
virtuellen Briefkasten bei einem sogenannten Büro-Office-Center
genutzt. Die Drogen wurden dann in eingeschweißten DHL-Päckchen in eine
Paketbox verstaut und in den gewünschten Mengen - bis in den
Kilo-Bereich - versandt.
Neben dem gewerbsmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln betrieb er
auch seit mindestens August 2012 einen illegalen Versandhandel mit
anabolen Steroiden über in Litauen gehostete Internetseiten.
Etwa 50 bis 100 Pakete pro Woche sollen auf diesem Weg den
Besitzer gewechselt haben, wobei die Versendung der
verschreibungspflichtigen Arzneimittel zu Dopingzwecken im Kraftsport
von der Slowakei aus erfolgte.
Am 26.04. dieses Jahres wurde der mit Europäischem Haftbefehl
Gesuchte in seiner Wohnung in Brünn von der tschechischen Polizei
festgenommen. Die anschließende Durchsuchung seiner Wohnung durch
tschechische Ermittler in Anwesenheit deutscher Beamter förderte
umfangreiche Beweismittel zu Tage. Neben diversen falschen Pässen,
Kontounterlagen, Handyzubehör, hunderten von gefälschten
PostIdent-Formularen und Anabolika stellten die Beamten auch eine
scharfe Schusswaffe sicher. Der Beschuldigte wurde am 04.06.2013 nach
Deutschland ausgeliefert.
Im Kontext des bislang geführten Verfahrens schlossen sich eine
Reihe von Folgeermittlungen zu einer Personengruppe im Raum Leverkusen
an, wohin immer wieder Bezüge festgestellt wurden. Insbesondere
verdichteten sich die Hinweise darauf, dass die Quelle des versandten
Amphetamins dort zu finden sei. Die agierende Gruppe hatte
zwischenzeitlich im Bereich „Carding" gut organisierte Strukturen
entwickelt. So wurden über das Internet sogenannte Warenagenten
(Personen, die für die logistische Weiterleitung betrügerisch erlangter
Waren eingesetzt werden) angeworben und in kürzester Zeit - mittels
gephishter Kredikartendaten - in erheblichem Umfang Waren auf diese
Agenten bestellt. Über Warenagentenführer wurden die bestellten Mengen
koordiniert und zentral an anonym angemietete Lagerboxen geschickt. Die
Mietzahlungen für eine Lagerbox im Raum Eschweiler erfolgte
beispielsweise von zuvor im Bereich Hannover betrügerisch eröffneter
Konten. Im Anschluss wurde die Ware „LKW-weise" per Kurier aus den
Lagerboxen abgeholt und an die Tätergruppe in Leverkusen geliefert, von
wo aus man sie für 60 % des Warenwertes an Hehler weitergab.
Am 11.06.2013 fanden in diesem Zusammenhang weitere acht
Durchsuchungen im Raum Leverkusen durch Kräfte der PD Hannover und des
Polizeipräsidiums Köln statt. Hierbei konnten zwei Personen festgenommen
und Betäubungsmittel, Carding-Ware und gefälschte niederländische
Identitätskarten beschlagnahmt werden. Weiterhin konnten Vermögenswerte
in Höhe von ca.120.000 Euro, davon ca. 85.000 Euro in bar gesichert
werden, von denen sich 76.000 in einem Bankschließfach eines weiteren
Beschuldigten befanden.
In enger Zusammenarbeit verschiedener Polizeibehörden und
Staatsanwaltschaften in der Bundesrepublik sowie tschechischer Polizei-
und Justizbehörden wurden parallele Ermittlungen geführt.
Oberstaatsanwalt Lange bedankte sich ausdrücklich bei der
tschechischen Bezirksstaatsanwaltschaft und der Polizei Brünn für die
gute Zusammenarbeit. „Die Kooperation von Polizei- und Justizbehörden,
in diesem Fall aus vier Ländern mit mehreren Bundesländern, ist
entscheidend für Ermittlungserfolge in der Cybercrime", so Lange.
Unter anderem fanden ebenfalls am 11.06.2013 in diesem
Zusammenhang auf Anordnung des Amtsgerichts Paderborn mehrere
Durchsuchungen in Höxter und Wuppertal statt. Gegen zwei Männer im Alter
von 24 und 26 Jahren wurden auch dort Untersuchungshaftbefehle
erlassen. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, sich durch den Versand von
Spammails in den Besitz von über 500 Kreditkarten- und Pay Pal-Daten
gebracht zu haben. Dem 26-Jährigen konnten darüber hinaus mehrere Fälle
von Warenkreditbetrug nachgewiesen werden. Der 24 Jahre alte
Tatverdächtige ist ferner dringend verdächtigt, mit Betäubungsmitteln
gehandelt zu haben.
Bei der Durchsuchung seiner Wohnung stellten die Beamten geringe
Mengen Amphetamin und 5.800 Euro sicher. Auch größere Vermögenswerte der
Täter in der Form von Internet-Währungen (sog. Bitcoins) befinden sich
nunmehr im Zugriff der Behörden.
Die Folgeermittlungen dauern an. Es ist davon auszugehen, dass
weitere Straftaten nachgewiesen und weitere Beschuldigte ermittelt
werden können.
Nach Einschätzung von Kriminaloberrat Oliver Stock (Leiter der
Kriminalfachinspektion 3 der PD Hannover) machen die Ermittlungen
deutlich, dass heutige Täter die Möglichkeiten der weitgehenden anonymen
Kommunikation sowie die logistischen Möglichkeiten des Internets
intensiv nutzen, um bei der Begehung von Straftaten hochgradig
arbeitsteilig und effektiv vorzugehen.