1186 Seiten stark ist der Abschlussbericht, den die Kommission zur
Erforschung der Geschichte der Universität Münster im 20. Jahrhundert am 26. Oktober 2012 der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Er ist Teil
einer umfassenden Auseinandersetzung der Westfälischen
Wilhelms-Universität Münster (WWU) mit ihrer Rolle in der Zeit des
Nationalsozialismus. Das aus zwei Teilen bestehende Werk, das im
Aschendorff-Verlag erschienen ist, ist der fünfte Band in der
Schriftenreihe des Universitätsarchivs und trägt den Titel: "Die
Universität Münster im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Brüche
zwischen 1920 und 1960."
"Die Tatsache, dass die WWU in der Zeit
der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Schuld auf sich geladen
hat, ist seit langem bekannt und im kollektiven Bewusstsein der
Universität fest verankert. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ist
daher ein wesentlicher Teil einer notwendigen Erinnerungskultur an
unserer Universität", betonte WWU-Rektorin Prof. Dr. Ursula Nelles. Mit
dem Abschluss der Kommissionsarbeit habe die Universität Münster eine
Lücke geschlossen: "Wir haben uns selbst eingehend im Spiegel betrachtet
und sowohl die Opfer- als auch nunmehr die Täterperspektive
beleuchtet." 1980 war bereits ein Sammelband zur nationalsozialistischen
Vergangenheit der WWU erschienen, daneben gab es zahlreiche
Veröffentlichungen zu einzelnen Institutionen. "Der aktuelle Band ist
allerdings wesentlich breiter und wissenschaftlich fundierter angelegt",
unterstrich die Rektorin.
Was sind die wesentlichen Ergebnisse
dieser Arbeit? "Die Universität Münster war kein Bollwerk, kein Hort des
Widerstands", fasste Kommissionsvorsitzender Prof. Dr. Hans-Ulrich
Thamer vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte zusammen. "Sie
war aber auch keine Hochburg der NS-Ideologie." Die Ideologisierung von
Lehre und Forschung und die Bereitschaft einzelner Personen, sich der
Karriere wegen mit dem Regime zu arrangieren, war ähnlich ausgeprägt wie
an anderen Hochschulen. "Die Geschichte der Universität in der NS-Zeit
war in dieser Hinsicht eine Durchschnittsgeschichte", resümierte der
Historiker. Eine Besonderheit war jedoch, dass einige NS-belastete
Dozenten in der Nachkriegszeit an die Universität Münster berufen wurden
- beispielsweise Otmar von Verschuer, Bruno K. Schultz oder Michael
Lesch.
Fünf Jahre lang arbeitete die hochkarätig besetzte
Expertenkommission daran, die Geschichte der WWU in der NS-Zeit zu
durchleuchten. Der Kommission gehörten neben ihrem Vorsitzenden
Hans-Ulrich Thamer Dr. Sabine Happ, Leiterin des Universitätsarchivs
Münster, und Dr. Daniel Droste, der Koordinator der Kommission, an.
Weiterhin waren Mitarbeiter des Stadtarchivs Münster, des Landesarchivs
Nordrhein-Westfalen und aller Fachbereiche der Universität vertreten.
Hans-Ulrich
Thamer hatte sich als anerkannter Fachmann für Nationalsozialismus und
europäischen Faschismus bereits im Vorfeld der Kommissionsarbeit mit der
Geschichte der WWU befasst. Auch einzelne Dissertationsprojekte aus
diesem Forschungsfeld hatte es schon zuvor gegeben. Das Rektorat unter
dem Vorsitz von Ursula Nelles gelangte allerdings 2007 zu der
Überzeugung, dass die Geschichte der Universität Münster während der
NS-Zeit insgesamt zu untersuchen sei und beschloss die Einrichtung einer
Expertenkommission zur umfassenden Aufarbeitung der NS-Geschichte der
WWU. Den Anlass hatte zuvor die Aufklärung des Falles des Mediziners
Prof. Dr. Karl Wilhelm Jötten gelegt, den eine vom Dekanat der
Medizinischen Fakultät beauftragte Historikerkommission untersuchte. Der
ehemalige Direktor des Instituts für Hygiene war in die Schlagzeilen
geraten, weil er während der NS-Zeit Doktorarbeiten betreut hatte, denen
rassenhygienische Untersuchungen zugrunde lagen. Die Kommission
machte sich ein genaues Bild von der wissenschaftlichen Arbeit Jöttens.
Ziel
der Arbeit der NS-Kommission sei es gewesen, sorgfältige und
wissenschaftlich haltbare Ergebnisse zu gewinnen, so Hans-Ulrich Thamer.
Dies sei den Beteiligten gelungen, betonte der Historiker bei der
Vorstellung des Abschlussberichts. "Wir haben ein sehr detailliertes
Bild von den Wechselverhältnissen zwischen Wissenschaft und Politik in
der NS-Zeit zeichnen können. Damit haben wir ein Stück
Universitätsgeschichtsschreibung vorangetrieben." Es sei nicht nur darum
gegangen, die Geschichte einer Institution und ihrer Personen in einer
bestimmten historischen Epoche nachzuzeichnen, stellte er heraus.
"Wissenschaft und Politik haben komplex ineinander gegriffen. Und ohne
den gesellschaftlichen Rahmen und die wirtschaftlichen Bedingungen zu
betrachten, kann man das Handeln der Personen nicht bewerten." Die
Forscher nahmen dabei nicht nur die Situation an der WWU von 1933 bis
1945 genau unter die Lupe, sondern verfolgten auch die Entwicklungen und
Strukturen bis in die 1920er Jahre zurück und bezogen die Umbrüche
nach 1945 in die Betrachtung ein, wie es in der heutigen Forschung zur
NS-Zeit üblich ist.
Der Abschlussbericht der Kommission besteht
aus zwei Bänden und gliedert sich in drei Hauptteile. Im ersten Teil
wird die Universität als Institution beleuchtet. Die Kapitel
beschäftigen sich beispielsweise mit der Rolle der Rektoren und
Kuratoren, der Aberkennung von Doktorgraden und den studentischen
Repräsentationsorganen. Im zweiten Teil widmen sich die Autoren der
Rolle der Fakultäten und Institute und nehmen ihre Rolle genau unter die
Lupe. Im dritten Teil liegt der Fokus schließlich auf einzelnen
Wissenschaftlern, deren Handeln beispielhaft betrachtet und eingeordnet
wird.
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Links:
* http://www.uni-muenster.de/Geschichte/histsem/NZ-G/L2/Mitarbeiter/Thamer.html
Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer
Quelle: www.uni-muenster.de